Mann, nachdenkend, nach unten schauend

Neue Hilfe für Hypochonder: So lässt sich die Angst vor Krankheiten überwinden

von Klaus Bernhardt

Eine Hypochondrie im medizinischen Sinne ist klar definiert. Darüber hinaus existiert jedoch auch noch die umgangssprachliche Verwendung des Begriffs „Hypochonder“, doch dazu später mehr. Bei einer echten Hypochondrie ist der Betroffene überzeugt davon, dass er eine ernsthafte Erkrankung hat, die bislang von Ärzten bloß noch nicht erkannt wurde. Entsprechend oft wird das sogenannte Ärzte-Hopping betrieben, also das häufige Wechseln des behandelnden Arztes. Hinter diesem Verhalten verbirgt sich die Hoffnung, dass der nächste Arzt endlich das „entdeckt“, was alle anderen vor ihm übersehen haben. Eine lebensbedrohliche Krankheit, wie z.B. einen Schlaganfall oder Krebs.

Natürlich können auch Ärzte Fehler machen oder etwas übersehen. Wenn aber nicht nur ein Experte bescheinigt, dass körperlich alles o.k. ist, sondern gleich mehrere, dann handelt es sich in aller Regel wirklich „nur“ um eine hypochondrische Störung. Und in diesem Fall gibt es nur eine einzige Frage, die wirklich weiterhilft:

Wie kann ein Hypochonder es schaffen, der ärztlichen Aussage „mit Ihnen ist alles in Ordnung“ wieder mehr Glauben zu schenken, als der eigenen inneren Stimme, die die ganze Zeit sagt, dass irgendwas nicht stimmt und die Ärzte bestimmt etwas übersehen haben? 

Hypochondrie regelrecht ausschalten, so funktioniert‘s:

Hypochonder dürfen lernen, ihre ängstliche innere Stimme mit ein paar einfachen Techniken so abzuschwächen, dass das Wort des Arztes wieder ausreichend Gewicht hat und so beruhigend wirkt, dass man sich wieder den angenehmen Dingen des Lebens zuwenden kann. Welche Techniken dafür in Frage kommen, hängt allerdings davon ab, ob Sie eher ein auditiver oder eher ein visueller Typ sind. Sehr auditive Menschen lösen ihre Ängste vor allem durch innere Dialoge aus. Sie reden viel mit sich selbst, hinterfragen ständig ihren Gesundheitszustand und formulieren Gedanken wie diesen: „Was ist, wenn der Arzt doch was übersehen hat?“ Zwei äußerst wirkungsvolle Methoden, um solch unangenehme, innere Dialoge zu stoppen, sind die auditive Schiebetechnik und die Pitching-Technik.

Eher visuelle Menschen lösen eine Hypochondrie hingegen eher durch Bilder aus, die vor ihrem inneren Auge entstehen. So sehen sich z.B. einige schwerkrank im Krankenhaus liegen oder aber sie stellen sich vor, wie sie ohne Haare aussehen würden, wenn sie sich einer Chemotherapie unterziehen müssten. Ängste, die durch diese Form des visuellen Denkens ausgelöst werden, lassen sich am besten mit der Zoom-Technik oder der visuellen Schiebetechnik ausschalten.

Da jede einzelne dieser Techniken in meinem Buch „Panikattacken und andere Angststörungen loswerden“ jeweils ein ganzes Kapitel füllt, kann ich hier natürlich nur exemplarisch erklären, wie diese Techniken funktionieren und warum sie gerade für Hypochonder ein besonders schneller und effektiver Weg sind, um endlich die übertriebene Angst vor Krankheiten loszuwerden. Als Beispiel verwende ich hierzu die visuelle Schiebetechnik.

So verwenden Sie die visuelle Schiebetechnik bei hypochondrischen Ängsten:

Bei der visuellen Schiebetechnik konzentrieren Sie sich (möglichst mit geschlossenen Augen) einen Moment lang auf eines der inneren Bilder, die Ihnen normalerweise Angst machen. Vielleicht ist es ja eine Situation in der Zukunft, in der Sie ganz schwach und gebrechlich aussehen, weil eine womöglich zu spät erkannte Krankheit sie schwer gezeichnet hat. Das ist natürlich eine äußerst unangenehme Vorstellung, doch für so machen Hypochonder gehört sie schon fast zum Alltag. Wem es nun jedoch gelingt, während so eines Gedankens darauf zu achten, ob das negative Bild mehr links im Kopf auftaucht oder vielleicht doch eher rechts, der kann sofort die visuelle Schiebetechnik bei sich testen.

Angenommen, die unangenehme Szene wäre bei Ihnen tendenziell eher links, dann versuchen Sie doch mal, dieses Bild mental ganz nach rechts zu schieben. Bei den meisten, die diese Übung das erste Mal machen, bleibt das Bild regelrecht in der Mitte hängen. Was nun folgt, wird vermutlich dem ein oder anderen „zu“ einfach erscheinen, als dass es einen so großen Effekt haben könnte. Erlauben Sie ihrem negativen inneren Bild jedoch, sich während des Verschiebens zu verändern, dann lässt es sich oft nicht nur leicht nach rechts bewegen, es löst sich dort auch regelrecht in Luft auf. Und ein angstbesetztes inneres Bild, das Sie Dank der visuellen Schiebetechnik schlicht nicht mehr wahrnehmen können, löst in diesem Moment auch keine Hypochondrie mehr aus. Probieren Sie es doch einfach mal aus. Besonders visuelle Typen sind oft erstaunt, wie einfach und hilfreich diese simple Technik ist.

Trainiert man die visuelle Schiebetechnik ein wenig, dann ist man seinen zwanghaften Gedanken an eine mögliche Erkrankung nicht mehr hilflos ausgeliefert, sondern man kann diese binnen Sekunden verschwinden lassen – und damit schwächt sich auch die Angst vor Krankheiten mehr und mehr ab.

Übrigens: Welche der vier genannten Techniken für Sie die richtige ist, lässt sich mit ein paar einfachen Tests herausfinden. Sie finden diese Tests sowohl in meinem Spiegelbestseller „Panikattacken und andere Angststörungen loswerden“ als auch in unserem Online-Videokurs: Endlich Angstfrei!. Auch wenn Sie sich das womöglich kaum vorstellen können, die darin aufgeführten Techniken haben schon tausenden von Betroffenen dabei geholfen, Hypochondrien aber auch viele andere Angststörungen ein für alle Mal zu überwinden.

Immer mehr Hypochonder dank „Dr. Google“

Hypochondrien werden nicht durch eine echte Erkrankung ausgelöst, sondern ausschließlich durch den zwanghaften Fokus auf „mögliche“ Erkrankungen. Für hypochondrische Störungen, die durch permanentes Googeln nach Krankheiten ausgelöst wurden, gibt es mittlerweile sogar schon eigene Fachbegriffe, nämlich „Cyberchondrie“ oder auch „Morbus Google“. Fakt ist: Wer die Suchmaschine fragt, was dieses oder jenes körperliche Symptom noch bedeuten könnte und unter welcher seltenen Krankheit man im schlimmsten Fall leidet, der läuft Gefahr, seine hypochondrische Störung noch weiter zu verschlimmern. Denn naturgemäß liefert Google nicht nur eine mögliche Ursache für das Stechen in der Brust oder die unerklärliche Müdigkeit, sondern es werden gleich dutzende verschiedener Krankheitsbilder aufgelistet, in denen die gesuchten Symptome ebenfalls vorkommen. Dieser ständige Fokus auf mögliche Krankheiten bleibt jedoch – vor allem wenn er regelmäßig stattfindet – nicht ohne Folgen für das Gehirn. Denn die permanente gedankliche Auseinandersetzung mit diversen Krankheiten und deren Symptomen sorgt dafür, dass das Gehirn neuronal immer leistungsfähiger darin wird, auch noch die kleinste Missempfindung im Körper so stark wahrzunehmen, dass selbst der körperlich gesündeste Mensch binnen weniger Wochen das Gefühl hat, ernsthaft krank zu sein.

Kaum ein Volk hat mehr Angst vor Krankheiten, als die Deutschen

Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO zählt Deutschland im internationalen Vergleich übrigens zu den Spitzenreitern, was die Anzahl der hypochondrischen Störungen betrifft, wobei Männer genauso häufig betroffen sind wie Frauen. Doch warum werden eigentlich so viele Menschen zu Hypochondern? In der Schulmedizin gilt allgemein die Auffassung, dass Menschen mit Hypochondrie besser als andere in der Lage sind, Gefühle innerhalb des Körpers wahrzunehmen. Der Fachbegriff dafür ist eine gesteigerte, interozeptive Wahrnehmung. Dadurch werden ganz harmlose Gefühle, die jeder Mensch mehrmals am Tag hat, wie z.B. Ziehen in der Muskulatur, Kribbeln, Druckgefühle, kurzer Wärme- oder Kälteschauer und vieles mehr, überinterpretiert und mitunter sogar als bedrohlich eingestuft. Häufen sich diese Fehlinterpretationen, können daraus im Laufe der Zeit sogar richtige Angststörungen entstehen. Diese wiederum rufen, durch die Ausschüttung verschiedener Neurotransmitter, noch mehr unangenehme körperliche Symptome hervor, welche erneut überbewertet werden.

Warum Sie bei Hypochondrie KEINE Antidepressiva einsetzen sollten

Um dem soeben beschriebenen Teufelskreis zu entkommen, raten viele Mediziner zur Einnahme von Psychopharmaka. Wie sinnlos, ja sogar gefährlich dieser Therapieansatz sein kann, beweist eine Metastudie zu Antidepressiva, die im renommierten Psychotherapeutenjournal (Ausgabe 4/2018, Seite 324) veröffentlicht wurde. Mittlerweile gilt es als erwiesen, dass Antidepressiva noch nicht mal bei der Krankheit, der sie ihren Namen verdanken, also bei einer Depression, sonderlich gut wirken. Bei gerademal 14% aller Patienten konnte eine positive Wirkung festgestellt werden. Bei 86 % zeigte die Medikation hingegen gar keine Wirkung oder führte zu einer Reihe von teilweise schweren Nebenwirkungen, die das Leben der Betroffenen noch zusätzlich belasteten.

Deshalb an dieser Stelle mein dringlicher Aufruf an alle Ärzte und Therapeuten:

Bitte erzählen Sie Ihren Patienten nicht, dass diese ohne Antidepressiva nicht gesund werden können. Diese Aussage widerspricht nicht nur allen aktuellen Studien, sie sorgt vor allem auch dafür, dass Ihre Patienten sich nur auf die Medikamente verlassen, anstatt endlich an den wahren Auslösern ihrer psychischen Probleme zu arbeiten. Wer durch die Verschreibung von Psychopharmaka das Gefühl bekommt, er könne auch weiterhin all die Denk- und Verhaltensmuster beibehalten, die ursächlich für seine psychischen Probleme verantwortlich sind, dessen Situation muss sich zwangsläufig noch verschlechtern.

Neue Studien widersprechen der gängigen Meinung

Es ist bedauerlich, wie weit der Irrglaube noch verbreitet ist, dass Antidepressiva bei hypochondrischen Störungen helfen würden. Wem diese Medikamente gegen Hypochondrie verordnet werden, der sollte von ärztlicher Seite grundsätzlich auch darüber aufgeklärt werden, dass eine Wahrscheinlichkeit von 86% besteht, dass diese Medikamente NICHT helfen und man zudem das Auftreten weiterer Probleme riskiert, wie z.B. Gewichtszunahme, Libidoverlust oder auch Schlafstörungen. Gerade letzteres ist übrigens keine Seltenheit. Laut einem 2018 erschienenen Artikel in der Deutschen Apotheker-Zeitung, den ich ebenfalls für Sie verlinkt habe,können nach neusten Studien drei Viertel aller Psychopharmaka zu Schlafstörungen führen. Und man muss kein Hypochonder sein, um zu wissen, dass mangelnder Schlaf auf Dauer tatsächlich krank macht.

Das Gehirn kann Hypochondrie regelrecht verlernen

Hypochondrie ist prinzipiell nichts weiter, als ein unbewusst erlernter Fokus auf körperliche Probleme aller Art. Doch etwas, das man lernen kann, kann auch verlernt werden. Und dieses Verlernen geht am schnellsten, wenn man seinen Fokus umtrainiert. Weg von Krankheiten und hin zu mehr Lebensfreude, Leichtigkeit und Selbstbestimmtheit. Stellen Sie sich dazu jeden Tag aufs Neue folgende Frage:

„Was kann ich hier und heute aktiv unternehmen, um mein Leben Stück für Stück besser zu machen.“ 

Je öfter man diesen besseren und zielführenderen Fokus trainiert, umso mehr beschäftigt sich das Gehirn mit der Beantwortung dieser Frage und umso seltener kommt es dazu, den Körper wieder nach möglichen Hinweisen darauf abzuscannen, ob man nicht doch eine gefährliche Krankheit haben könnte.

Kommen wir bei dieser Gelegenheit nun noch auf all die Menschen zu sprechen, die nicht wirklich an einer Hypochondrie leiden, sondern nur mit dem Begriff kokettieren:

„Ich bin ein Hypochonder. Sobald jemand erzählt, dass er einen kratzigen Hals hat, fängt auch meine Kehle sofort an, sich rau und kratzig anzufühlen.“

Diese Aussage beschreibt jedoch keine hypochondrische Störung, sondern zeigt lediglich, dass die Betroffenen äußerst empathisch sind und sich gut in andere einfühlen können. Dennoch nervt das unangenehme Gefühl im Hals, weshalb man nun ganz genau beobachtet, ob und wann es wieder weggeht. Und genau das ist der größte Fehler, den man machen kann. Denn jeder Fokus auf ein vermeintliches Problem vergrößert es, wie das folgende Beispiel eindrücklich beweist:

Waren Sie schon mal in einem klassischen Konzert? Alles sitzt ruhig und wartet gespannt, bis der Dirigent die Bühne betritt. Doch plötzlich muss jemand husten, einmal, zweimal – dann wird schnell nach einem Taschentuch gekramt, um das weitere Husten so gut wie möglich mit dem Stoff abzudämpfen. Doch während der eine noch mit dem Hustenreiz kämpft, fängt in so manch anderem ein geradezu absurdes Kopfkino an.

 „Hoffentlich muss ich jetzt nicht auch husten, irgendwie fühlt sich mein Hals gerade total trocken an. Ach, hätte ich doch nur was zu trinken dabei. Jetzt bloß nicht husten, jetzt bloß NICHT HUSTEN…“ 

Doch allein schon der Gedanke daran, nicht husten zu wollen, löst im Hals genau jenes unangenehme Gefühl aus, das sich eigentlich nur durch Husten wieder halbwegs loswerden lässt.

Tipp für Ihre Gesundheit

Hören Sie auf, sich selbst als Hypochonder zu bezeichnen, denn genau damit bereiten Sie Ihr Gehirn darauf vor, immer besser auf innere Prozesse zu achten und die Entwicklung hin zu einer echten psychischen Störung wird dadurch immer wahrscheinlicher. Sagen Sie sich lieber, dass Sie sehr empathisch sind und sich gut in andere einfühlen können – und richten Sie Ihre Aufmerksamkeit dann schnell auf jemanden, bei dem Ihnen Ihre empathische Ader zugute kommt. Lassen Sie sich lieber von Humor und guter Laune anstecken, als von Kratzen, Jucken und sonstigen körperlichen Symptomen. Denn auch diesen Fokus kann man bewusst trainieren und das Ergebnis macht zudem viel mehr Spaß.

Wenn hypochondrische Störungen insgeheim Vorteile haben

Eine gesteigerte Wahrnehmung von im Körper ablaufenden Prozessen ist nichts, was man an bestimmten Genen festmachen könnte. Ganz im Gegenteil – es kann jeden treffen, denn es handelt sich hierbei um nichts anderes, als ein unbewusst antrainiertes Verhalten. Wer z.B. in einer Familie aufgewachsen ist, in der sich die Gespräche hauptsächlich um Krankheiten oder körperliche Unzulänglichkeiten gedreht haben, dessen Gehirn wurde von Kindesbeinen an darauf trainiert, den Körper von morgens bis abends auf mögliche Warnhinweise hin abzuscannen. Doch selbst wenn Krankheiten zu Hause gar kein Thema waren, kann man sein Gehirn darauf trainieren, eine gesteigerte interozeptive Wahrnehmung zu entwickeln, und zwar vor allem dann, wenn die Hypochondrie den ein oder anderen versteckten Vorteil hat. In der Psychologie spricht man dann vom sogenannten secondary gain, also dem sekundären Krankheitsgewinn.

Ständig damit beschäftigt zu sein, ob man nicht doch ernsthaft krank ist, kostet, je nach Schweregrad der hypochondrischen Störung, richtig viel Zeit. Andauernd googelt man nach neuen Symptomen, absolviert einen Arztbesuch nach dem anderen und ist den Rest der Zeit damit beschäftigt, alle möglichen Gefahrenquellen zu vermeiden. Dadurch bleibt allerdings auch keine Zeit mehr, sich um seine wahren Probleme zu kümmern. So absurd das für Außenstehende erscheinen mag, für viele Hypochonder ist es bequemer, sich immer weiter in irgendwelche Krankheiten hineinzusteigern, als sich z.B. um einen besseren Beruf oder eine beglückendere Beziehung zu bemühen. Nicht umsonst endet mein erstes Buch deshalb mit dem Satz:

 „Sie müssen nicht gesund werden, um das Leben Ihrer Träume zu leben. Sie dürfen anfangen, das Leben Ihrer Träume zu leben, damit Sie endlich gesund werden können!“ 

Und genau darin liegt ein weiteres Geheimnis, wie man Hypochondrie auch wieder loswerden kann. Hören Sie auf, nach Gründen zu suchen, warum das Leben bald vorbei sein könnte und richten Sie Ihren Fokus anstatt dessen auf all die Dinge, für die es sich wirklich lohnt zu leben. Jede einzelne Minute, in der Sie etwas tun, was Sie wirklich erfüllt, ist eine Minute, in der ihr Gehirn ein kleines bisschen mehr verlernt, sich Krankheiten einzureden, die gar nicht da sind.